Brandwehrverein Reutte
Der Anlassfall zur Gründung der ersten Außerferner Freiwilligen Feuerwehr ereignete sich am 2. Jänner 1867 um vier Uhr früh, als im Anwesen beim Schlux auf der Kög ein Brand ausbrach, der bald das ganze Anwesen erfasste. Die Gemeindefeuerwehr rückte aus. Die veraltete Stoßspritze versagte. Furchtbare Hilflosigkeit und hoffnungsloses Durcheinander herrschten am Brandplatz. Sogar mit dem Werfen von Schneebällen versuchte man, das Feuer zu ersticken. Dieses Ereignis ließ die Erkenntnis reifen, dass man einer Feuersbrunst nicht mit einer verordneten Pflichtfeuerwehr, sondern nur noch mit einer ausgebildeten freiwilligen Spezialtruppe Herr werden konnte.
Am 3. Februar 1867 schlug die Geburtsstunde des freiwilligen Feuerwehrwesens im Außerfern. Anton von Wilburger legte der Marktgemeinde Reutte die Statuten zur Gründung eines Brandwehrvereines des Marktes Reutte vor. Der Zweck des Vereines lautete: Eine drohende Feuergefahr nach Kräften zu bekämpfen, ist Pflicht eines jeden Gemeindemitgliedes. Diese Pflicht aber zu einem geordneten Ganzen zu gestalten, die vereinzelten Kräfte zu vereinen und zu üben und unter einer einheitlichen Leitung dem gemeinsamen Ziele zuzuführen, ist der Zweck des Vereins.
Ein Beitritt zu diesem Feuerwehrverein stand jedem, der bereit war, sich den Statuten zu unterwerfen und seinen Beitritt für mindestens drei Jahre zu erklären, offen. Die Stellung zur Gemeinde wurde wie folgt festgelegt: Dem Magistrate obliegt die Feuerpolizei und nach der Tiroler Brandwehrordnung die Leitung der Löschanstalten; die Aufgabe des Vereins kann daher dem Magistrate gegenüber nur darin bestehen, ihn zu unterstützen und dessen Anordnungen bei einem Brande in geordnete Ausführung zu bringen.
Diese Freiwillige Feuerwehr unterstand also der Gemeinde, und das oberste Kommando bei Feuersgefahr stand daher dem Bürgermeister zu. Dieser Feuerwehrverein bestand aus den Mitgliedern der Dienstmannschaft und den Mitgliedern des Kassa-Vereines. Die Dienstmannschaft war vom Mitgliedsbeitrag befreit und bestand aus drei Abteilungen: Löschungs-, Rettungs- und Wachabteilung. Der Brandverein war auch drei mit Hörnern ausgerüstete sogenannte Signallisten. Einer musste beim Ausbruch eines Brandes sofort dem Vereinsvorstand zur Verfügung stehen. Die beiden anderen mussten im Ober- und Untermarkt ihre Feuersignale geben und den Ausbruch des Feuers dem Bürgermeister melden.
Der bürgerliche Rat von Reutte und die Vertreter der Nachbargemeinden Breitenwang, Ehenbichl und Pflach - der sogenannte Pfarrausschuss - befand über die Statuten. Nachdem zunächst der Reuttener Bürgermeister die Notwendigkeit dieses Feuerwehrvereins hervorhob und die Statuten erläuterte, wurde von allen Gemeindevertretern die Einführung einer Freiwilligen Feuerwehr mit Freude begrüßt.
Dieser Brandwehrverein entwickelte keine größeren Aktivitäten und erste Missstimmigkeiten mit der Gemeindeführung zeichneten sich sobald ab, als diese eine eigene Sammlung für Zwecke des Brandwehrvereines ablehnte. Jedoch beschloss die Gemeindeführung am 4. April 1867 den Ankauf einer neuen Feuerspritze und deren Finanzierung durch einen zwanzigprozentigen Aufschlag auf alle direkten Steuern. Bereits am 2. März 1868 wurde dieser Brandwehrverein in Reutte, dessen Statuten nie der Statthalterei zur Genehmigung vorgelegt worden waren, durch die zweite Feuerwehrgründung, die Turnerfeuerwehr, abgelöst.
Turner-Feuerwehr von Reutte
Da das deutsche Turnwesen dem liberalen Gedankengut verhaftet war, fand im Wege der Turnerfeuerwehr dieses auch Reutte Ausprägung. Dadurch waren im mehrheitlich konservativen Reutte Konflikte mit der konservativen Majorität der Gemeinde vorprogrammiert. Die Turner-Feuerwehr hatte auch nur einen dreijährigen Bestand.
Neu im Gedankengut war die Turnbürgerlichkeit. Es gab unter den Turnern weder Herr noch Knecht, keine Hohen und Niederen. Die Turnfeuerwehr hieß nach ihrer Satzung offiziell Feuerwehrverein des Marktes Reutte. Im allgemeinen Sprachgebrauch - so auch in den Protokollen - wird sie Turn- und Feuerwehrgesellschaft Reutte, Turner-Feuerwehr oder gar nur kurz Turnverein genannt. Die Organisation wurde um eine vierte Abteilung - der Werkleute (Einreißer, Aufräumer und Leiterträger) erweitert. Die Turnidee wurde in Reutte in breiten Bevölkerungskreisen beinahe schwärmerisch aufgenommen. Der Feueralarmruf hieß: Turner auf, es brennt, es brennt ! Das Motto der Turner-Feuerwehr lautete Eintracht halte Wacht!
1869 sammelte die Turner-Feuerwehr für eine Vereinsfahne. Der Aufruf richtete sich besonders an die Frauen. Die Begeisterung steigerte sich bis zur Fahnenweihe, die am 4. Mai 1869 stattfand. Der Enthusiasmus, der die Turnerfeuerwehr anfänglich beflügelte, hielt jedoch nicht lange an. Die Konflikte mit der Gemeindeführung häuften sich. Das Motto Eintracht halte Wacht zerbrach, und am 30. September 1871 löste sich die Turner-Feuerwehr auf.
Freiwillige Feuerwehr Reutte
Die Idee der Turner-Feuerwehr schien zwar fürs Erste gescheitert zu sein, lebte jedoch weiter. Die maßgeblichen Männer der ehemaligen Turner-Feuerwehr standen wieder an vorderster Front bei der nunmehr gegründeten Freiwilligen Feuerwehr, die sich weiterhin inoffiziell immer noch Turner-Feuerwehr nannte. Als sich die Turner-Feuerwehr von Reutte am 30. September 1871 aufgelöst hatte, bemühte sich die Gemeindeführung von Reutte unverzüglich, eine neue Freiwillige Feuerwehr zu gründen. Ein Ort in der Größe von Reutte (Reutte zählte damals rund 1.450 Einwohner!) konnte nicht mehr auf eine Freiwillige Feuerwehr verzichten. Daneben bestand aber die gesetzlich verordnete Gemeindefeuerwehr weiter.
Der Bürgermeister wurde ermächtigt, zusammen mit den führenden Köpfen dieser ehemaligen Feuerwehr alles zu unternehmen, was für ein geordnetes Feuerwehrwesen in Reutte zweckentsprechend erscheine. Nachdem am 11. Jänner die Satzung über das Wirken einer allgemeinen Feuerwehr erlassen worden war, wurde bereits am 14. Jänner 1872 Statuten für eine Freiwillige Feuerwehr beschlossen. Am 7. März 1872 erstattete Bezirkshauptmann Wilhelm Rautenkranz der Statthalterei Bericht, dass sich der Verein der Freiwilligen Feuerwehr in Reutte, der sich im Vorjahr aufgelöst hatte, rekonstruierte, und er ersuchte, den Bestand nach dem Vereinsgesetz geeignet zu bescheinigen.
Die Statthalterei genehmigte die Statuten am 21. April 1872, worauf am 28. April 1872 die Konstituierung stattfand. In den Statuten fand erstmals auch das Wort freiwillig ausdrücklich Aufnahme. Zweck war die Heranbildung von theoretisch wie praktisch geschulten Feuerwehrmännern und daraus die Qualifizierung eines tüchtigen Leistungs- und Ordnungspersonals für die Gemeindefeuerwehr, um sowohl selbstständig als im Vereine mit dieser eine geordnete, schnelle und erfolgreiche Hilfeleistung bei Feuersgefahren jederzeit möglich zu machen.
Neu waren detaillierte Bestimmungen über eine straffe - ausdrücklich militärisch genannte - Ausbildung. Wir lesen: Die ordentlichen Mitglieder unterziehen sich einer militärischen Organisation und einer einfachen Uniformierung: diese besteht aus einer Bluse von dunklem Tuche oder Loden ohne Aufschlag, einem Helm als Kopfbedeckung für die Steiger und einer schwarzen Schildkappe mit dem Marktwappen versehen für die übrige Mannschaft.
Erstmals wurde der Grundsatz durchbrochen, dass nur Bürgersöhne in die Feuerwehr Aufnahme finden können. Auch Zugezogene mit gutem Ruf wurde der Beitritt gestattet. 1872 wurde der größte private Wohltäter der Feuerwehr, der Hirschenwirt Ignaz Huter, in Würdigung seiner Verdienste zum Turn-Feuerwehr-Vater ernannt. Am 31. März 1873 gründete die neue Freiwillige Feuerwehr eine Turnschule. Ihre Aufgabe war nicht das Erlernen des Turnens im heutigen Sinn, sondern die Heranbildung tüchtiger Steiger, die sich auf den schwindelerregenden und schwankenden Leitern bewegen konnten. Ausflüge der Feuerwehr wurden immer noch als Turnfahrten bezeichnet.
In der Freiwilligen Feuerwehr vereinigten sich zwei Traditionen, die auch äußerlich zum Ausdruck kamen. Die liberale Turnertradition fand im Gruß "Gut Heil" und in dem durch den "4 F" ausgedrückten Wahlspruch "frisch - fromm - fröhlich - frei" ihren Niederschlag. Die christliche Weltanschauung verschuf sich im Wahlspruch "Gott zur Ehr', dem Nächsten zur Wehr !" Geltung. Was als Äußerlichkeit gelten mag, war mehr: In der Feuerwehr fanden sich Männer über gesellschaftliche und weltanschauliche Grenzen hinweg zusammen.
Die 1872 vollzogene Neuorganisation hatte in ihren Grundzügen bis zum Jahr 1939 Bestand. In diesem Jahr wurde die Feuerwehr von den Nationalsozialisten als Verein aufgelöst und erhielt die Stellung einer Hilfspolizeitruppe.
Abschließend eine heitere Begebenheit:
Das Verhältnis zwischen Freiwilliger und Gemeindefeuerwehr war keinesfalls immer ungetrübt. Zwischen den beiden Gruppen verlief ein oft unüberbrückbarer politischer Graben: Die Mitglieder der Gemeindefeuerwehr stammte aus den konservativ-klerikalen Bevölkerungsschichten, die die Mehrheit in Reutte stellten. Die Männer der Freiwilligen Feuerwehr (auch weiterhin Turner-Feuerwehr genannt) stammten meist aus dem Bereich der Liberalen.
Über so ein Vorkommen berichtet der Bote für Tirol am 13. März 1873 unter dem Titel übereifrige Feuerwehrmänner. Zwei Feuerwehrmänner zechten am unsinnigen Donnerstag die Nacht hindurch und gerieten in Streit. Sie waren zwar beide Feuerwehrmänner, der eine aber - ein Liberaler - gehörte der Turner-Feuerwehr an und bekleidete dort einen hohen Charge. Der andere - ein Klerikaler - war Mitglied der Gemeindefeuerwehr. Nach durchzechter Nacht und hitziger politischer Diskussion traten beide - niemand in Reutte kümmerte sich offensichtlich um die Sperrstunde - in den frühen Morgenstunden den Heimweg an. Doch plötzlich ertönte vom Turm der Klosterkirche das Glockenzeichen, das sie sogleich das politisch Trennende vergessen ließ. Für sie galt plötzlich nur eines: Pflichtgefühl! Nach ihrem Zeitgefühl war es etwa zwei Uhr morgens, und ein Glockenzeichen zu dieser Zeit konnte nur Feueralarm bedeuten. Sie stürmten gemeinsam die Stufen des Gemeindeamtes (damals Magistrat genannt) hinauf und zogen die dort am Giebel das Daches befindliche Magistratsglocke, um mit dieser zusätzlich Feueralarm zu geben. Was die beiden Feuerwehrleute nicht bedachten: Es war nicht zwei, sondern bereits vier Uhr morgens, und der Glockenton von der Franziskanerkirche war kein Feueralarm, sondern der Ruf zum morgendlichen Ave Maria. Der Spott auf diese Tat ließ nicht lange auf sich warten. Die Zeitungen reimten dazu unter Anspielung auf Schillers Glocke, dass die beiden Feuerwehrmänner ihren ungeheuren Brand selbst durch die volksbelebten Gassen heim zur Stätte ihrer Lieben gewälzt hätten.